Einmal Spargeln und zurück- die 6. Jahreszeit bricht an

Nicht nur der Spargel ist in Deutschland in aller Munde, sondern mittlerweile auch die Arbeitsbedingungen der Menschen, die auf den Feldern der Deutschen „weißes Gold“ zu Tage fördern. Im Kontakt mit Ratsuchenden und im Austausch mit Kolleginnen erfahren wir viel über den Arbeitsalltag und die Probleme der Wanderarbeiterinnen. Was es hingegen bedeutet, selbst mit dem Stechmesser auf dem Feld zu stehen und durch die hunderte Meter lange Ödnis der Spargeldämme zu stapfen, war bis vor kurzen nur wenigen klar.

Da viele Agrarbetriebe jedoch befürchteten, dass zu wenige Saisonbeschäftigte in Deutschland einreisen dürfen, wurden erstmals auch einzelne Spargeldämme vermietet- so auch in Thüringer Agrargesellschaften. Für ungefähr 190 Euro wurden viele Pächter*innen eines 300 Meter langen Damms, der insgesamt zehn Wochen lang bewirtschaftet werden konnte. So reihen sich 200 Dämme aneinander, mit Holzschildern nummeriert. Aus einzelnen Dämmen ragen größere Schilder, die das jeweilige Stück Land zu Familie XY zugehörig ausweisen. Offenbar spielt Individualisierung auch bei Erdhügeln eine Rolle. Spargeldamm Nummer 60 sollte für mich zum Experimentierfeld werden.

Während ich gemütlich per Rad anreise, ein paar Stunden am Spargeldamm verbringe, um die geernteten Stangen anschließend im Freundeskreis gegen Spende aufzuteilen, sieht die Realität der Saisonbeschäftigen anders aus. Auf dem Weg zum vermieteten Damm kreuzen wir zahlreiche Felder der Umgebung, auf denen die mehrheitlich rumänischen Beschäftigten ihrer Arbeit nachgehen. Am Rande stehen die Anhänger, die mithilfe von Traktoren die Beschäftigten auf die Felder bringen. Auf die Felder karren wäre vielleicht eine passendere Beschreibung, denn schon im letzten Jahr konnten wir diese an „Gefangenentransporte“ grenzenden Arbeitswege beobachten. Spätestens beim Anblick Anhänger, die notdürftig mit Stühlen voll gestellt sind, ist die Landwirtschaftsromantik dahin.

An Damm Nummer 60 geht es nun an die Arbeit, kurzes Erklären der Technik und los gehts. Nachdem ich mittlerweile unzählige Berichte über das Spargelstechen sah, fühle ich mich ganz gut vorbereitet. Wir teilen die Arbeit auf: eine Person entdeckt die leicht lila verfärbten Spitzen an der Erdoberfläche, schaufelt entsprechende Stelle frei und ich probiere mich mit dem Stechmesser. Scharf muss es sein, hatte der Landwirt beim Unterschreiben der Verträge gesagt. Offenbar ist gutes Werkzeug die halbe Miete.

So arbeite ich mich die 300 Meter Spargeldamm voran und fördere dutzende Stangen zu Tage.

Um mich herum herrscht buntes Treiben. Man kommt hier und da ins Gespräch mit anderen, die ebenfalls ernten, tauscht sich über die Technik aus und beobachtet Kinder, die am Rand spielen, während die Eltern auf dem Feld stehen. Eigentlich ganz idyllisch. Nach einer guten Stunde ist die Südseite des Damms abgeerntet. Weiter geht es mit der Nordseite. Viele vergleichen das Spargelstechen mit der Suche nach Ostereiern. Tatsächlich ist es eine angenehme Abwechslung zum sonstigen Alltag, der viel drinnen und am Schreibtisch stattfindet. Nicht umsonst haben viele Menschen Freude an Gartenarbeit Draußen sein, frische Luft genießen, körperlich arbeiten und am Ende ein Ergebnis sehen kann durchaus befriedigend sein. So lange es Grenzen hat. Nach gut 2 Stunden sind wir fertig, sammeln die Stangen ein und freuen uns über die Ernte.

Das ist kein Vergleich zu den Saisonbeschäftigten, die nebenan tätig sind. Gudrun K.,  Mieterin eines Spargeldamms bemerkt: „Interessant ist, dass auf der einen Seite der Straße die rumänische Saisonarbeiter*innen schuften, während auf der anderen Seite die deutschen Mittelschichtsbürger*innen ihrem persönlichen Spargelvergnügen nachgehen.“

Hier und da ließ ich den Blick schweifen und fragte mich, wie Menschen diese körperlich anstrengende und eintönige Arbeit auf Dauer verkraften. Schließlich wird täglich oft 10 Stunden und mehr gearbeitet. Da nicht so viele Saisonbeschäftigten eingeflogen werden konnten und der Spargel doch aber aus dem Boden muss, wurden kurzerhand die Arbeitszeitregelungen verändert. Der wohlklingende Begriff „Flexibilisierung der Arbeitszeit“ bedeutet hier konkret, dass 60 Stunden Arbeit pro Woche legal sind. Außerdem dürfen statt 70 Tagen die Beschäftigten nun 115 Tage in Deutschland bleiben. Doch das reicht Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner noch nicht, bis zu 180 Tage sollen die Saisonbeschäftigten coronabedingt in Deutschland bleiben dürfen. Nachdem die zumeist rumänischen Beschäftigten dann monatelang 60 Stunden pro Woche schufteten, von ihren Familien getrennt und anderen Menschen isoliert waren, dürfen sie mit kaputtem Rücken und ohne erworbene Rentenansprüche zurückkehren in ihre Heimatländer. Was hat diese Arbeit eigentlich für Auswirkungen auf das Familiengefüge und den sozialen Zusammenhalt im Herkunftsland. Partnerinnen, Partner, Eltern und Kinder, die über viele Monate keinen persönlichen Kontakt haben. Besonders in der Zeit von Corona, wo alle sich in ihre Kernfamilien zurück ziehen und viel Unsicherheit herrscht.

Forderungen von Gewerkschaften nach besserer Entlohnung, stärkeren Kontrolle der Arbeitsgesetze und Unterbringungen zum Schutz der Beschäftigten werden seit Jahren kaum gehört. Aber wenn wir, also die Wirtschaft in Deutschland, profitiert sind Ausnahmeregelungen legitim. Auf die Spitze getrieben wird dies durch die Arbeitserlaubnis die plötzlich für Asylbewerber*innen umgesetzt wird. Da der Bedarf an 300.000 Saisonbeschäftigten in der Landwirtschaft auch durch den Einflug rumänischer Arbeitskräfte und Rekrutierung zahlreicher Freiwilliger nicht gedeckt werden kann, sollen nun Asylbewerber*innen diese Lücke füllen. Zugang zum Arbeitsmarkt ist generell zu begrüßen, allerdings gilt das in aktuellen Fall nur für die Zeit der Corona- Krise, als genauer gesagt bis Herbst 2020. Wer danach in Deutschland einer geregelten Arbeit nachgehen möchte, dem wird der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt.

Für mich bleibt die Eintönigkeit körperlich zehrenden der Arbeit unvorstellbar. Tag für Tag die gleichen Spargeldämme abzuernten, gebückte Haltung, der dauernden Sonneneinstrahlung ausgesetzt und letztlich keine sanitären Anlagen, die annähernd den hygienischen Vorschriften in Zeiten von Corona entsprechen. Die Gewerkschaft IG BAU fordert folgende Hygienamaßnahmen für die Arbeit auf dem Feld:

  • Anschlussfreie Toiletten, wie auf den Feldern sonst üblich, sind in der jetzigen Situation ungeeignet.
  • Möglichkeiten zum regelmäßigen Händewaschen und desinfizieren müssen sichergestellt werden.
  • Sozial- und Sanitärräume müssen mindestens alle zwei Tage fachmännisch gereinigt werden.
  • Unterbringung darf nur in Einzelzimmern erfolgen.
  • Fahrten zum Feld sollen künftig möglichst im eigenen PKW erfolgen. Die entsprechenden Erstattungssätze sind zu bezahlen. Sammelfahrten von Feld zu Feld sind nicht zumutbar.
  • Zum Thema „Umgang mit Coronavirus“ müssen Sicherheitsunterweisungen und Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden.

Rasch wurde die Website Das – Land- hilft aus dem Boden gestampft und es meldeten sich zahlreiche Menschen und wollten kostenfrei „Erntehelfer“ sein. Plötzlich wird die Feldarbeit romantisiert: frische Luft, ein wenig Bewegung und am Ende ein Teller voller frisch geernteter Köstlichkeiten. Doch wir reden hier nicht vom Hobbygärtnern. Die Arbeit in der Landwirtschaft ist ein Job, der fair entlohnt werden sollte. In der jüngsten Pressemitteilung vom 24.05.2020 ermöglichen Julia Klöckner und Horst Seehofer die weitere Einreise von Arbeitskräften aus Rumänien, denn Fachkräfte seien nötig. Ich frage mich, ob sie die Saisonarbeiter*innen auch wie Fachkräfte behandelt fühlen.

Die Spargelsaison ist in 4 Wochen vorbei, doch die Erntesaison geht weiter. Vom Apfel bis zum Feldsalat will  alles geerntet werden. Dei Frage, die im doppelten Sinne bleibt ist: zu welchem Preis?