Coronakrise – Geflüchtete in der Landwirtschaft?

Überall ist es zu lesen: im Zuge der Grenzschließungen, insbesondere in Richtung Osteuropa, fehlen Hilfsarbeiter*innen in der Landwirtschaft. Die Landwirtschaftsministerin schlägt vor, Geflüchtete (sogar solche mit Arbeitsverbot), Studierende oder momentan Arbeitslose sollten doch bitte in diesem Bereich helfen und schaltet ein Portal, bei dem Helfende und Landwirtschaftsunternehmen zusammenfinden können. Die Not scheint groß.

Gleichzeitig betreue ich viele Menschen, die gern auch körperlich schwere Arbeiten auf dem Feld verrichten möchten. Also zücke ich mein Telefon und kontaktiere alle regionalen Unternehmen, die bereits mehrmals in den Zeitungen über Arbeitskräftemangel klagten. Das Fazit ist ernüchternd. Nicht ein einziges Unternehmen nimmt auch nur eine Bewerbung entgegen.

Die Gespräche sind teils skurril, teils erschreckend: „Es will doch niemand mehr 8 Stunden schwer körperlich arbeiten – in gebückter Haltung.“ –„Deswegen rufe ich ja an, weil ich Leute vermitteln kann, die das gern machen.“ –„Aber es will doch niemand so schwer körperlich arbeiten.“ Irgendwann gebe ich auf.

Oder ein Gespräch mit einem Betrieb, der offenbar wirklich Interesse an einem Helfer beim Spargelstechen zu haben scheint: „Aber ihr Teilnehmer ist ja nicht mobil. Da kommt er nicht zu uns.“ – „Ihre Rumänen haben doch sicherlich auch eine Unterkunft, wenn sie bei Ihnen arbeiten.“ – „Ja, aber diese Unterkunft ist wirklich rudimentär. Da ist nur ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl.“ – „Ich habe bereits mit dem Teilnehmer geredet. Das ist kein Problem für ihn. Er hat jahrelang in einer Gemeinschaftsunterkunft nur mit Betten, Tisch und Stühlen geschlafen, aber zu viert in einem Zimmer.“ – „Ja, aber die Toilette ist außerhalb, und es gibt keine Möglichkeit zu kochen. Einen Wasserkocher gibt es eine Etage höher, den kann er mitbenutzen. Und wir könnten darüber nachdenken, ihm eine Herdplatte zu kaufen.“

Solche Gespräche machen fassungslos, entstehen doch Bilder im Kopf von Menschen, die unter diesen Bedingungen oft einige Monate „hausen“ müssen. Die Standardantwort ist allerdings: „Wir warten lieber auf unsere polnischen Fachkräfte.“ Letztendlich konnte ich keine(n) einzige(n) Geflüchtete(n) in die Landwirtschaft vermitteln.

Das scheint zu erstaunen, beobachtet man die politische Diskussion. Es erstaunt weniger, wenn man sich an die Bilder der letzten Jahre erinnert von Osteuropäer*innen, die oft zu menschenunwürdigen Bedingungen und meist ohne angemessene Bezahlung auf unseren Feldern arbeiten.[1] Anstatt die Chance in der Krise zu nutzen, die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft zu überdenken, scheint die Devise eher ein Weiterso.[2] Auch mit Unterstützung der Politik. Auf dem Portal des Landwirtschaftsministeriums bietet sich ein Großteil der Bewerber*innen als ehrenamtliche Helfende an.


[1]          Vgl. z.B. https://igbau.de/Binaries/Binary4223/2018-bundesweite-aktionswochen-saisonarbeit-landwirtschaft-peco-igbau-on….pdf

[2]          Ein ähnliches Fazit findet sich z.B. unter https://www.ggua.de/aktuelles/einzelansicht/8ac63fa3abdad4142dc9cb59b66fab76/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=1109&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail